Angeregt durch mehrere Diskussionen auf verschiedenen Plattformen im Internet und Facebook zu improvisierten Waffen und Alltagsgegenständen sowie immer wiederkehrenden internen und externen Fragen zu dieser Thematik, hier mal der Versuch die unsere Betrachtungs- und Vorgehensweise näher zu erläutern.
Zuerst einmal wird durch uns das Mitführen von sogenannten Verteidigungsspielzeug, wie zum Beispiel des Kubotans oder des berühmten taktischen Kugelschreibers, strikt abgelehnt, fast schon belächelt.
Hierfür gibt es mehrere Gründe:
- Betrachtet man ein Gesamtgeschehen nicht nur aus der ICH-Perspektive (was passiert mir innerhalb eines Szenarios), sondern auch einmal aus der WIR-Perspektive, so kann das Ziehen eines Kubotans oder sonstigen taktischen Spielzeuges auch Verhaltensreaktionen bei einem möglichen Gegenüber hervorrufen. Eventuell schätze ich ein Szenario falsch ein und das Ziehen eines Gegenstandes führt zu weiteren Reaktionen bei dritten Personen.
- Bringt mir so ein Spielzeug nichts, wenn ich nicht über die erforderliche Körpermechanik zur Entfaltung von Schlaghärte verfüge. Verfüge ich über diese, benötige ich dann überhaupt noch einen Kubotan?
- Habe ich kaum die Möglichkeit diesen zu ziehen, sofern Aggression oder Gewalt schlagartig respektive überraschend eintritt.
- Was bringt jemanden ein Kubotan oder taktischer Kugelschreiber, wenn man generell nicht über die mentale Stärke verfügt harte physische Gewalt gegen andere Mitmenschen anzuwenden?
- Viele konzentrieren sich nur noch auf den SV-Gegenstand und vergessen andere Möglichkeiten zur Handhabung von Aggression und Gewalt.
- Sind diese Gegenstände im Alltag unpraktisch.
Auf unserem Seminar "Improvisierte Waffen und Alltagsgegenstände" wird gerne die Frage gestellt, wer zum Beispiel einen Kubotan oder taktischen Kugelschreiber (Anm. je öfter man die Begrifflichkeit "taktischen Kugelschreiber" niederschreibt, desto größer wird das Schmunzeln) für einen möglichen Verteidigungsfall mitsichführt. Hier gehen gerne die Hände mit einem bestätigenden Kopfnicken nach oben. Auf die Folgefrage, wer diese schonmal in der Realität eingesetzt hat und den wahren Nutzen kennt, wurde bisher noch nicht eine gehobene Hand gesehen.
Schaut man sich dann Verletzungsmuster durch den Einsatz von Kubotan und Kugelschreiber an, so sind diese oftmals nicht erforderlich oder bergen große Risiken. Risiken, die im Training sehr gerne vergessen werden. Dieses würde auch den Verkaufsschlager Kubotan etwas ausbremsen und die Seminare schlechter füllen. Auch sollte man sich einfach mal fragen, was bei Seminaranbietern, die sich wöchentlich mehrfach erfolgreich mit dem Kubotan verteidigen, falsch läuft?
Unsere Methodik sieht vor, dass wir bei eine physischen Konfrontation auf Mittel zurückgreifen, die
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die Sicht beeinflussen
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die Atmung beeinflussen
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die Mobilität beeinflussen
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den Bewusstseinszustand beeinflussen
Diese Beeinflussungen können innerhalb der Handlung einzeln oder auch in Kombination erfolgen.
Schaut man sich die häufigsten Anwendungen für den Einsatz von Kubotan, Kugelschreiber und Co. an, so empfiehlt manch einer komplizierte Hebel- und Nervendrucktechniken, die in der Realtität wenig Erfolg versprechen. Andere wiederum empfehlen Schläge und Stiche gegen den Körper und den Kopf.
Betrachtet man das nebenstehende Röntgenbild, so kann man dringend von einem pauschalisierten Gebrauch eines dieser Gegenstände gegen den Schädel einer anderen Person abraten. Ein solcher Einsatz bedarf einem schwerwiegenden Ausgangsszenario und sollte stets kontextuell und situativ betrachtet werden. Gerade, wenn es sich hierbei um konische Gegenstände handelt.
Hier dürfte bei vorhandener Körpermechanik und damit einhergehender Schlagkraft eine waffenlose Technik, z. B. ein Handballenstoß, ebenso zielführend sein und gegebenenfalls die Sicht und den Bewusstseinszustand beeinflussen.
Schaut man sich Schläge und Stiche mit diesen Gegenständen gegen den Körper eines Menschen an, so ist fragwürdig inwieweit hier überhaupt eine der oben genannten Beeinflussungen erreicht werden kann. Gerade wenn witterungsbedingt „dicke“ Kleidung getragen wird oder eine Person unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln oder Medikamenten steht.
Weiterhin sollte man die eigene Handhaltung bei der Ausführung von Stichen überdenken. Ein seitlich gebeugtes Handgelenk birgt Verletzungsgefahren.
Und betrachtet man nun den Körper als Waffe, so ist dieser rund um die Uhr "geladen". Man benötigt in der Regel die richtige Konzeption und Taktik zur Handhabung einer aggressiven und gewalttätigen Konfrontation. Ein alleiniger Gegenstand und ein paar Stunden Training sind in der Realität selten zielführend.
Doch wofür steht die Begrifflichkeit "Improvisierte Waffe und Alltagsgegenstand" in unserer Vorgehensweise?
Wir betrachten die Anwendung von Gegenständen in fünf Unterkategorien:
- Schlagverstärkende Gegenstände
- Stechende / schneidende Gegenstände
- Flexible / peitschende Gegenstände
- Projektile / Wurfgeschosse
- Schützende und / oder sichtnehmende Gegenstände
Diese Gegenstände können aufgrund ihrer objektiven Beschaffenheit als improvisierte Waffen genutzt werden, sind aber grundsätzlich nicht hierfür konzipiert worden.
Dementsprechend müssen sie folgende Anforderungen erfüllen:
- Gegenstand des Alltags
- Keine Waffeneigenschaft und auch kein Gegenstand mit Feststellungsbescheid
- Nicht durch bauliche Veränderungen manipulierter Gegenstand
- Rechtlich bedenkenlos
Gegenstände dieser Unterkategorien werden aber nicht bewusst mitgeführt. Vielmehr werden diese situativ und kontextuell genutzt.
Beispiel 1:
Jemand telefoniert mit dem Handy am Ohr und wird aggressiv angesprochen. Die haltende Hand befindet sich hierbei schon in Höhe des eigenen Kopfes und wird auch im Sinne unserer Fence-Konzeption
zur Blockade der gegenerische Schulter auf dieser Ebene belassen.
Sollte es im Laufe des Szenarios zur präventiver Gewalt kommen, so kann das Mobiltelefon in vielfältiger Weise genutzt werden - Handballenstoß, Hammerfaust, Slap, etc.
Da der materielle Wert hier nicht im Vordergrund stehen darf, wird der Gegenstand höchstwahrscheinlich während der Ausführung des Schlages oder im Anschluss verloren. Von der Idee nur kubotanähnliche Stiche und Schläge mit dem Gegenstand auszuführen, möchten wir eher abraten. Dieses schränkt situativ doch sehr ein und begrenzt die persönliche Handlungskompetenz - machmal möchte man zum Beispiel auch greifen.
Beispiel 2:
Eine Hundeleine kann als peitschender Gegenstand benutzt werden, sofern die Beschaffenheit und die Situation es zulassen. (Der Hund sollte aus tierschutzrechtlichen Gründe nicht mehr angeleihnt
sein.)
Beispiel 3:
Ein neben sich befindlicher Barhocker wird schützend zwischen sich und einem mit einem Messer bewaffneten Angreifer gehalten.
Viele Gegenstände, die zu unserem Seminar mitgebracht werden sollen, werden nicht immer unter positiven Gesichtspunkten thematisiert. Vielmehr versuchen wir hier auch Halbwahrheiten und Gerüchte näher zu beleuchten.
Schonmal versucht einen der im Video gezeigten Angreifer mit einem Haustürschlüssel im Eispickelgriff zu stoppen oder eben schnell den Gürtel auszuziehen und damit auf einen der Angreifer einzuschlagen?
Wahrscheinlich nicht...
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Charliesdaddy (Sonntag, 01 November 2015 09:56)
Ihre Bedenken teile ich ...nich ganz...als Shodan ist es mir bewusst, dass eine Waffe, falsch angewendet auch gegen den Nutzer wirken kann...aber...Alltagsgegenstände zur Verteidigung können gezielt angewandt sehr effektivsein...und...wenn sich Jemand aggressiv verhält, man in der Jackentasche ein Schlüsselbund (vielleicht auch mit Kubotan) hat...kann das dem Angreifer verdammt wehtun...Viel gefährlicher sind, nach meiner Ansicht, diese "Pressluft-SV-Kurse" bei denen Frauen z.B. suggeriert wird, sie könnten sich mit Teilnahme / Abschluss an derartigen Veranstaltungen, effektiv verteidigen...rechtlich bedenkenlos ist selbst eine SV-Handlung nicht immer...aber, wenn man bedenkt, man hat nur diese eine Chance, relativ gut aus eine Gefahrensituation herauszukommen, nutze ich (als relativ trainierter) Verteidiger, jede Möglichkeit und jedes Mittel. Fairneß gibts in solchen Situationen nicht...und Regeln nur Eine....Wer kämpft kann verlieren...wer nicht kämpft hat schon verloren...Oss
Heilpraktiker (Montag, 30 November 2015 20:20)
Ich muss die Meinung meines Vorkommentators absolut teilen. Glauben Sie ernsthaft daran, einen Messerstecher, der es auf meine Mesenterialaterie / Bauchschlagader (siehe chinesisches Video) abgesehen hat, mit bloßen Händen abhalten zu können? Oh je...! Hat man es mit solch einer Attacke zu tun, ist man über JEDES Werkzeug froh, das man zufällig erhaschen kann - wenn es dann der spitze Kugelschreiber / Kubotan ist, den man dem Aggressor in den Augapfel rammen kann: Aber immer doch (dringt der Gegenstand dann ins Hirn vor, so ist das seine eigene Schuld)! Ich habe da rechtlich gesehen keinerlei Bedenken (und kein Richter der Welt wird dem Opfer damit Tötungsabsichten unterstellen können und einem daraus einen Strick drehen, zumal, wenn mehrere Angreifer beteiligt waren). Einen einzigen Punkt muss ich Ihnen allerdings zugestehen: Man sollte sich als Operator immer die Verhältnismäßigkeiten vor Augen führen (wenn es etwas leichter hergeht, kann man ja erst einmal "waffenlos" vorgehen, wobei ich schon erlebt habe, dass ein augenscheinlich unbewaffneter Aggressor plötzlich doch einen fetten Ziegelstein oder einen zugespitzten Nagel in der Hand hatte - auch das sollte man bedenken)! Ach, übrigens: Der Kubotan im Bild wird eher andersherum im Eispickelgriff oder Hammergriff eingesetzt - weniger im Fechtgriff mit dem stumpfen Ende nach vorne (selten sinnvoll)